Fachkräftemangel dann doch nicht so schlimm?

Juni 2025

Der hausgemachte Wahnsinn auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Fachkräftemangel trifft auf Altersdiskriminierung

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Fachkräftemangels. An allen Ecken und Enden der Republik wird der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften beklagt. Doch während die Wirtschaft über unbesetzte Stellen klagt, schlummert ein riesiges, ungenutztes Potenzial auf dem Arbeitsmarkt: erfahrene, hochqualifizierte Fachkräfte jenseits der 50. Sie werden jedoch oft von erzkonservativen Personalabteilungen und ängstlichen Entscheidern systematisch aussortiert. Ein absurdes Theater, das sich Deutschland angesichts der demografischen Entwicklung und des wirtschaftlichen Drucks nicht länger leisten kann.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Prognosen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) gehen davon aus, dass bis 2027 rund 728.000 Fachkräfte fehlen werden. Gleichzeitig ist die Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ein weit verbreitetes Phänomen. Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland hat bereits Erfahrungen mit Altersdiskriminierung gemacht, wobei der Arbeitsplatz der häufigste Ort für solche Benachteiligungen ist.

Die ewig Gestrigen in den HR-Abteilungen: Jung, billig und mit 20 Jahren Erfahrung

Trotz des offensichtlichen Bedarfs an Fachkräften scheinen viele Personalabteilungen in ihren Denk- und Handlungsmustern in der Vergangenheit verhaftet zu sein. Das Anforderungsprofil für offene Vakanzen liest sich oft wie die Quadratur des Kreises: Gesucht wird ein junger, dynamischer Mitarbeiter, der aber bitte schon über jahrzehntelange Berufserfahrung verfügt, eine Fülle von Ausbildungen und Qualifikationen mitbringt und sich gleichzeitig mit einem bescheidenen Gehalt zufriedengibt. Es scheint, als würden Bewerbungsunterlagen oft noch nach Maßstäben bewertet, die 15 bis 20 Jahre alt sind.

Diese veralteten Vorstellungen führen zu einer systematischen Benachteiligung älterer Bewerber. Anstatt das immense Potenzial an Erfahrung, Loyalität und sogenannter "kristalliner Intelligenz" – also dem über die Jahre erworbenen Fach- und prozeduralen Wissen – zu erkennen, werden ältere Kandidaten oft vorschnell aussortiert.

Die Angst der Entscheider vor der eigenen Überflüssigkeit

Ein weiterer, oft unausgesprochener Grund für die Ablehnung erfahrener Bewerber ist die Angst der Entscheidungsträger. Insbesondere jüngere Führungskräfte fürchten nicht selten, von einem älteren, hochqualifizierten Mitarbeiter "outperformed" zu werden. Die Sorge, die eigene Autorität könnte untergraben oder die eigene Kompetenz in Frage gestellt werden, führt zu einer defensiven und letztlich unternehmensschädigenden Haltung. Anstatt einen erfahrenen Sparringspartner ins Team zu holen, der Wissen weitergeben und zur Stabilität beitragen kann, wird lieber auf vermeintlich formbarere, jüngere Kandidaten gesetzt.

Top-Qualifikation trifft auf Vorurteil: Das ungenutzte Potenzial

Dabei wird vollkommen übersehen, dass viele ältere Bewerber nicht nur über einen reichen Erfahrungsschatz verfügen, sondern auch in modernen Methoden und Technologien überaus fit sind. Die Annahme, ältere Mitarbeiter seien weniger anpassungsfähig oder technisch versiert, ist ein längst widerlegtes Vorurteil. Viele haben sich über die Jahre kontinuierlich weitergebildet und sind mit den neuesten Entwicklungen in ihrer Branche vertraut. Das Problem: Sie bekommen oft gar nicht erst die Chance, ihre Kompetenzen in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren.

Die Feigheit vor der Entscheidung: Wenn der Mut für die Zukunft fehlt

Obwohl das Potenzial älterer Arbeitnehmer in Sonntagsreden und auf Fachtagungen gerne beschworen wird, sieht die Realität bei konkreten Einstellungsentscheidungen oft anders aus. Es scheint, als fehle in 99% der Fälle der Mut, die Entscheidung für den "Alten" zu treffen. Getrieben von überholten Denkmustern und Vorurteilen, die von Arbeitgebern in der Vergangenheit selbst geschürt wurden, wird das riesige Potenzial einfach liegengelassen.

Diese kurzsichtige und von Vorurteilen geprägte Personalpolitik rächt sich nun bitterlich. Der Fachkräftemangel ist nicht nur eine Folge des demografischen Wandels, sondern auch das Resultat einer jahrelangen, hausgemachten Ignoranz gegenüber dem Wert und der Kompetenz erfahrener Arbeitnehmer. Es ist an der Zeit, dass in den deutschen Chefetagen und Personalabteilungen ein Umdenken stattfindet – weg von überholten Stereotypen und hin zu einer wertschätzenden und zukunftsorientierten Personalstrategie, die alle Generationen mitnimmt. Denn eines ist sicher: Den Luxus, auf das immense Potenzial der "Silver Generation" zu verzichten, kann sich unsere Wirtschaft nicht mehr leisten.